"Die allgemeine Wehrpflicht zwischen Akzeptanz und Verweigerung: Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868 - 1914/18)": Projekt des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (P 15234).
Das Projekt "Die Allgemeine Wehrpflicht zwischen Akzeptanz und Verweigerung: Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868 - 1914/18)" fragt insbesondere nach der Relevanz von hegemonialen Geschlechterkonstruktionen des 19. Jahrhunderts für die Erfahrungen, die Sinnstiftungen und Selbstbilder der wehrpflichtigen Mannschaftssoldaten in- und außerhalb der 'totalen Institution' des Militärs. Ausgehend von den in der neueren Forschung bislang diskutierten disziplinierungstheoretischen Ansätzen, werden die sozial-, mentalitäts- und geschlechtergeschichtlichen Implikationen der Allgemeinen Wehrpflicht untersucht, die in Österreich-Ungarn erst im Jahre 1868 eingeführt wurde. Sie bewirkte in der Folge ungeachtet der vielen Widerstände dagegen letztlich eine breite Akzeptanz des Militärs, das sich um die Jahrhundertwende vor dem Ersten Weltkrieg, wie fast überall in Europa, eines öffentlichen Ansehens wie nie zuvor in der Geschichte erfreuen konnte - trotz der zahlreichen auch von höheren Offizieren öffentlich formulierten Reformvorschläge und der v. a. von Sozialdemokraten und Pazifist/inn/en vorgetragenen, massiven Kritik am zeitgenössischen 'Militarismus' und seiner 'Soldatenschinderei'.
Maßgeblich für die erfolgreiche Durchsetzung der Allgemeinen Wehrpflicht im 19. Jahrhundert war, wie neuere internationale Forschungen betonen, nicht nur deren im Anschluss an die Französische Revolution entstandene Verknüpfung mit den Konstrukten 'Nation' und 'Bürger' - was eine diskursive Ineinssetzung darstellt, deren tatsächliche Wirkmacht in Hinblick auf die k. u. k. Monarchie, wo Nations- und Staatsbildungsprozesse nicht zusammenfielen, kritisch zu überprüfen ist. Abgesehen von ihrer Funktion als "Schule der Nation" sollte die Allgemeine Wehrpflicht auch zentrale geschlechterpolitische Funktionen erfüllen, da Militär und Kriegswesen nun als Synonyme einer spezifischen Männlichkeit gesetzt wurden, zu der im Prinzip jeder - noch ledige - Mann erzogen werden sollte. Das Militär wurde zur "Schule der Männlichkeit" stilisiert, sein Anspruch auf eine Disziplinierung der Rekruten erhielt eine qualitativ neue Dimension, die in der als 'natürlich' definierten bürgerlichen Geschlechterordnung wurzelt. Dass sich betroffene Männer, ihre Familien, Frauen und mitunter sogar Gemeindevertretungen solchen Normierungen dennoch auch zu entziehen suchten, ist ein weiterer Themenkomplex des Projekts, das damit auch Widerstände gegen die Disziplinarmacht des Militärs, bzw. soldatische Verweigerungsformen - von der Subordinationsverletzung bis hin zur Desertion - untersucht. Von Interesse ist hier vor allem deren Rückbindung an konkurrierende, nicht-hegemoniale oder periphere Männlichkeitsvorstellungen, oder pejorative Zuschreibungen von Nicht-Männlichkeit in solchen Kontexten. Das Projekt verbindet die Analyse von Diskursen über die k. u. k. Armee allgemein mit Detailstudien, die sich auf den österreichischen Raum beschränken werden. Als Quellen dienen v. a. Zeitungen, Militärzeitschriften und einschlägige Militärschriften sowie Statistiken, Dienstregelements und Gesetzestexte, Militärgerichtsakten und andere Bestände aus dem Wiener Kriegsarchiv, Bestände aus Gemeindearchiven und verschiedenste Selbstzeugnisse.
English Abstract:
The project "Universal Conscription between Acceptance and Refusal: Military and Masculinities in the Austrian Empire, 1868 - 1914/18" asks in how far hegemonic gender constructions of the 19th century were relevant for everyday experience, attitudes, and self-images of conscript soldiers inside and outside the 'total institution' of the military. It inquires after the social, mental and gender implications of universal conscription, which was introduced in the Austrian Empire as late as in 1868. Notwithstanding many obstructions, universal conscription effected a broad acceptance of the military, which around 1900, as in most of the European countries, enjoyed an historically unprecedented public reputation - in spite of the massive critique, uttered especially by social democrats and pacifists, of contemporary 'militarism' and military 'slave-driving'.
What was decisive for universal conscription to win through in the 19th century was, as is emphasised by recent international research, not only its linkage, developed in the aftermath of the French Revolution, with the constructs of 'nation' and 'citizen' - a discursive equation the actual effectiveness of which has yet to be critically examined in regard to the Austro-Hungarian monarchy, where the developmental processes of nation and state did not match. Aside from its function as a "school of the nation", universal conscription was considered to fulfil central gender political functions, since military and warfare were seen as synonyms of a specific masculinity which any unmarried young man should be brought up to, in principle. The military was stylised as a "school of manliness". Its claim to discipline the recruits acquired a new qualitative dimension, rooting in the civil order of the sexes which was defined as 'natural'. Some of the men concerned, their families, a few women, and at times even communities, nonetheless sought to evade such standardisation. This is another thematic complex of the project, which will therefore also study resistance against the disciplinary power of the military and forms of soldierly refusal - from breach of subordination to desertion. What is of central interest in the latter topic is its connection with concurring, non-hegemonic or peripheral concepts of masculinity, or pejorative attributions of non-masculinity in such contexts.
The project combines approaches towards discourses on the Austro-Hungarian army in general with detailed key studies, which will be confined to the region of modern Austria. Sources to be used are newspapers, military journals and relevant military works, statistics, service regulations and laws, military court records and other records from the Austrian 'Kriegsarchiv`, as well as community archive materials, and various self-testimonies.