Das Forschungsprojekt untersucht die Ehegerichtsbarkeit im Erzherzogtum Österreich unter
der Enns zwischen dem ausgehenden 16. und der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Während die Ehegerichte in protestantisch-reformierten Territorien schon früh die Aufmerksamkeit von HistorikerInnen fanden, ist die Ehegerichtsbarkeit in den katholischen Territorien des Heiligen Römischen Reichs im Allgemeinen, in der Habsburgermonarchie im Besonderen, kaum untersucht. In der österreichischen Historiographie ist bisher das Wissen über die Institution der Trennung bzw. Scheidung von Tisch und Bett, die normativen wie praktischen Voraussetzungen, die zuständigen Institutionen und die Anzahl der beantragten Fälle, äußerst gering.
Ziel des Forschungsprojekts ist eine systematische Erschließung der Trennungs- bzw. Scheidungsverfahren im Erzherzogtum Österreich unter der Enns. Für die Wahl des Untersuchungsgebiets sprach neben der Quellenüberlieferung vor allem der mögliche Vergleich von urbanen und ländlichen Gebieten sowie die Gegenüberstellung von kirchlicher (bis 1783) und weltlicher Ehegerichtsbarkeit (ab 1783).
Für die Analyse der im Kontext von Eheverfahren produzierten Quellen (Konsistorialprotokolle und Magistratsakten) werden quantitative und qualitative Methoden miteinander verbunden: In einem ersten Schritt richtet sich das Augenmerk darauf, die Eheverfahren zu erheben, zu digitalisieren und zu transkribieren. In einem zweiten Schritt werden die „Eckdaten“ der Gerichtsverfahren in einer Datenbank erfasst, um in einem dritten Schritt quantitative Abfragen nach Kriterien, wie Klageinteresse, Geschlecht, soziale Position, Wohnort etc. vornehmen zu können. Qualitativ ausgewertet werden die von den Ehemännern bzw. Ehefrauen und deren Anwälten angeführten Argumente, warum das Gericht die Trennung bzw. Scheidung von Tisch und Bett genehmigen oder ablehnen sollte. In den Fokus geraten dabei Praktiken, die sich den Themenfeldern physische und sexualisierte Gewalt, Emotionen, Ökonomie und Wirtschaften, Sexualität, Zusammenleben, verbale Gewalt und Ehre, Konfession und Religion zuweisen lassen.
Ausgewählte Ehekonflikte werden darüberhinaus einer mikrohistorischen Analyse unterzogen.
Das Ende der Kernuntersuchungszeit bildet das Jahr 1850, in dem eine neue Gerichtsverfassung in Kraft trat. Stichprobenartig werden die 1860er Jahre untersucht, in denen die katholische Kirche neuerlich die Ehegerichtsbarkeit inne hatte.